BoG: Herr Keller, woher kam die Idee, für ein halbes Jahr ins Ausland zu gehen?
Ich wollte schon nach dem Abitur ins Ausland, habe aber leistungsmäßig in Essen Sport betrieben, weshalb es mir zunächst nicht möglich war, Auslandserfahrungen zu sammeln.
Während meiner Meisterausbildung spielte ich schließlich doch mit der Idee, da ich zu dieser Zeit auch eine Schulterverletzung erlitten hatte und mir bezüglich meiner Sportkarriere viele Gedanken machen musste. Im Sommer 2016 traf ich mich dann mit Frau Hof von der Mobilitätsberatung der Handwerkskammer Düsseldorf, um ein paar Informationen einzuholen.
BoG: Wollten Sie unbedingt in den USA arbeiten oder haben Sie auch andere Länder in Betracht gezogen?
Für mich waren meine Traumziele Kanada, Neuseeland und die USA. Nach meinen Gesprächen mit Frau Hof habe ich festgestellt, dass die fernen Ziele etwas schwieriger zu realisieren und auch zu finanzieren sind; eine Unterstützung durch ERASMUS+ ist hier nicht gegeben. Meine europäische Traum-Alternative war Irland. Mir war es vor allem wichtig, dass es ins englischsprachige Ausland geht, um meine Sprachkenntnisse aus der Schule verbessern zu können und nicht eine komplett neue Sprache erlernen zu müssen.
BoG: Unsere Mobilitätsberaterin Rebecca Hof hat Ihnen den Berliner Vermittlungsservice „journeyman.io“ empfohlen. Wie konnte Ihnen dort geholfen werden? Was mussten Sie alles selbst noch organisieren?
Ich habe von Frau Hof die Kontaktdaten von „journeyman.io“ erhalten und mich dort persönlich vorgestellt. „journeyman.io“ war ein Startup und erst kurz vorher ins Leben gerufen worden. Das bedeutete auch, dass es keine Rezensionen oder Erfahrungen von vorherigen Arbeitern im außereuropäischen Ausland gab. Zudem war „journeyman.io“ noch auf der Suche nach potentiellen Arbeitgebern und hatte noch keine große Expertise im handwerklichen Bereich.
Bei „journeyman.io“ wurde ich aber von Anfang an super betreut. Ich habe vor allem mit Tania Lintermanns aus dem Team Kontakt gehalten, die mich bei allen Fragen super unterstützte, oder direkt recherchierte und mich dann zeitnah zurückrief. Bei allen Fragen, vor allem zum komplizierten VISA-Prozess, hatte ich immer einen Ansprechpartner und die Zusammenarbeit zwischen „journeyman.io“ und der GACC (German American Chamber of Commerce) hat jederzeit bestens funktioniert.
„Journeyman.io“ fertigte mir gleich zu Beginn eine Liste mit allen notwendigen Dokumenten für den VISA-Prozess an und ich habe mich daran gesetzt, ein Motivationsschreiben und den Lebenslauf auf Englisch zu verfassen; außerdem mussten weitere Unterlagen gesammelt und in die Fremdsprache übersetzt werden.
Abgesehen von dem Visum habe ich mich sonst selbst um alles gekümmert. Für die ersten Tage in Minnesota hatte ich von Deutschland aus eine Privatunterkunft gebucht und dann geplant, vor Ort eine langfristige Unterkunft zu finden.
BoG: Wie haben Sie den Aufenthalt finanziert? Mussten Sie in Vorkasse treten?
Ja, z. B. das Visum musste direkt bei der Beantragung bezahlt werden. Ohne Rücklagen aus den vorherigen Jahren hätte ich das nicht das stemmen können. Ich habe dazu mal eine Liste angefertigt, was für Kosten vor dem ersten Gehalt in den Staaten auf mich zugekommen sind:
-20$ internationaler Führerschein
-800$ GACC
-160$ Konsulat
-480$ Versicherung
-270$ Telefonkarte
-620$ Flug
-1.500$ Autokauf
-680$ Autoversicherung
-280$ Automiete für 10Tage
-700$ Airbnb für 23 Tage
(ausgenommen Benzin, zzgl. Verpflegung)
BoG: Haben Sie bei all diesen organisatorischen Fragen irgendwann mal kalte Füße bekommen und sich gefragt „warum mache ich das überhaupt“ oder hat die Vorfreude überwogen?
Es kam der Punkt, an dem ich mich endgültig entscheiden musste. Das war bei der Beantragung des Visums. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch erst realisiert, wie ernst die Sache ist und dass aus der Idee und dem Traum, im Ausland zu arbeiten, Wirklichkeit werden kann. Die Freude war natürlich sehr groß, aber es war auch der große Gedanke da, dass die Erwartungen hoffentlich nicht enttäuscht werden. Schließlich war es meine erste große Reise, bei der ich auf mich alleingestellt war und auch für mein Einkommen – in einem fremden Umfeld – verantwortlich war.
BoG: Sie haben in Minnesota gearbeitet. Was genau haben Sie dort gemacht?
Ich habe in einer Plumbing Company, also einer Gas-, Wasser-, Sanitär-Firma in Minnesota, in der Nähe der Twin-Cities gearbeitet. Wir haben dort an einer High- und Middle School bei einem großen Neu- und Anbau mitgewirkt. Dabei wurde eine Turnhalle mit Umkleideräumen, eine riesige Mensa mit Küche, eine Bibliothek, Wissenschafts- und Labor-Klassenzimmer, sowie jegliche Badezimmer und Toilettenräume errichtet.
Mein erster Arbeitstag war gleich sehr einprägend, da ich von meinem Chef nicht bei den Arbeitern angekündigt worden war und direkt ein anstrengender Arbeitstag anstand. Vor allem bleibt mir die Situation in Erinnerung, als ich nach meiner Anweisung, eine Metallschiene auf „5 Fuß, 6 Zoll und 5/8“ zu schneiden erst bewusst wahrgenommen habe, dass das metrische System in den USA keine Verwendung hat.
Natürlich gab es jederzeit etwas Neues für mich zu entdecken, aber nach ca. drei Monaten im Job hatte ich das Gefühl, dass ich eingearbeitet war. Ich kannte die Arbeitsabläufe und wenn ich etwas noch nicht gemacht hatte, habe ich es durch erklären direkt verstanden, oder die Arbeit bei einem Kollegen bereits gesehen.
BoG: Gab es sprachliche Probleme?
Das schwierige war vor allem das Fachvokabular. Jeder, der in Deutschland auf dem Bau oder mit Handwerkern gearbeitet hat, weiß, dass Handwerker in Deutschland eine andere Sprache sprechen. Genauso ist es in den USA auch.
So blieb einem manchmal keine andere Wahl als die Zeichensprache. Ich habe oft Werkzeuge gezeigt und dann mein Vorhaben pantomimisch vormachen müssen. Zudem kam erschwerend hinzu, dass es auf der Baustelle sehr laut war und es so noch schwieriger war Anweisungen von meinem Vorgesetzten zu verstehen. Ein Mitarbeiter hatte zusätzlich einen sehr starken Akzent und selbst meine us-amerikanischen Kollegen haben ihn zeitweise nicht verstehen können.
Ich habe mit einer Englisch-App in der Freizeit Vieles übersetzt und sie war mir sehr hilfreich. Jedoch hat die App auf der Baustelle nichts gebracht, da es sehr umständlich ist, jedes Wort auf dem Handy einzugeben, wenn man gerade mit Handschuhen arbeitet.
BoG: Welche Unterschiede in den deutschen und amerikanischen „Arbeitswelten“ konnten Sie feststellen?
Ich habe in Deutschland vor allem im Kundendienst und im Heizungsbau gearbeitet. Mir fehlt die Erfahrung von größeren Baustellen in Deutschland, deshalb kann ich diese speziellen Arbeitsbereiche schlecht vergleichen. Es gibt aber im Allgemeinen sehr große Unterschiede, das fängt bei der Arbeitskleidung an, geht weiter über die Werkstoffauswahl und der Wahl der Heizungssysteme und endet bei der Arbeitsmentalität. Da die Versicherung privat zu tragen und auch der Arbeitsschutz nicht vergleichbar mit deutschen Verhältnissen ist, ist die „hire and fire“-Mentalität in den USA deutlich zu spüren.
BoG: Haben handwerkliche Berufe in den USA ein gutes Ansehen?
Handwerker haben in den USA ein sehr hohes Ansehen und werden dementsprechend auch gut bezahlt. Die Arbeitgeber haben, ähnlich wie in Deutschland, große Probleme gute Leute zu finden, da diese meistens bereits von einem anderen Arbeitgeber gut bezahlt werden. Außerdem ist das Ausbildungssystem ein komplett anderes. Man kann ein sogenannter „journeyman“ (vergleichbar mit Geselle) werden, wenn man 4 Jahre in dem Beruf gearbeitet hat, also eine vorgegeben Anzahl an Berufsstunden vorweisen kann und dann eine Prüfung ablegt. Journeymen werden deutlich höher bezahlt und es gab auf meiner Baustelle nur Vorgesetzte, die den Journeyman-Titel innehatten. In handwerklichen Berufen arbeiten in den USA vor allem viele Quereinsteiger; dies erklärt sich für mich auch dadurch, dass es für US-Amerikaner üblich ist, den Job im Schnitt öfter zu wechseln und auch im Leben ganz neue berufliche Wege einzuschlagen.
BoG: Gibt es besonders prägende Erfahrungen, von denen Sie erzählen möchten?
Die Zeit in den USA war insgesamt die prägendste und aufregendste Erfahrung, die ich in meinem Leben bisher gemacht habe. Auf sich alleine gestellt zu sein und wirklich gezwungen zu werden, auf Englisch zu kommunizieren und in einer vollkommen anderen Kultur zu leben, ist für mich am wichtigsten. Man hat die Chance, sich in einer unbekannten Umgebung alles so einzurichten, wie man es möchte und es bleibt noch genügend freie Zeit, um die Kultur kennen zu lernen und sich anzupassen.
Dabei fallen einem jeden Tag die Vorteile und der gewohnte Standard aus Deutschland auf: Man lernt ihn zu schätzen, da er in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten nicht selbstverständlich ist. Das habe ich zu spüren bekommen, als ich nach zwei Wochen einen Arbeitsunfall hatte: Ich schnitt mich mit der Hand am Metall und musste genäht werden. Als ich im Krankenhaus angekommen war, wurde ich erst behandelt, als meine Arbeitsbeziehung zu meinem Chef sichergestellt wurde und dieser zugesichert hatte, dass ich bei ihm angestellt und es ein Arbeitsunfall sei.
Ein anderes Beispiel zum Gesundheitssystem war mein Arbeitskollege, der mir eigentlich mein in den USA erworbenes Auto abkaufen wollte, dies aber nicht zusagen konnte, da seine Frau ein Kind erwartete und er noch nicht wusste, welche Kosten durch die Geburt auf ihn zukommen würden.
Nach der fünfmonatigen Arbeitsphase besuchte mich meine Freundin aus Deutschland in den USA, wir haben uns ein großes Wohnmobil gebucht und für drei Wochen einen wunderschönen Road Trip in den Westen gemacht. Dabei konnten wir die wunderschöne Natur der Erde in den Nationalparks der USA bewundern – das war nach fünf Monaten harter Arbeit der perfekte Abschluss für mich.
BoG: Wie hat sich Ihre berufliche Zukunft nach dem USA-Aufenthalt entwickelt?
Ich bin nach meiner Ankunft in Deutschland direkt in ein neues Umfeld, nach Darmstadt, gezogen und habe dort im Wintersemester 17/18 das Studium zum Maschinenbau begonnen. Mit dem Studium möchte ich mein Wissen erweitern und ich kann mir nach meinem Aufenthalt in den USA gut vorstellen, später mal im Ausland zu arbeiten.